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Christian Stöcker

Drohende Klimakatastrophe Vor dem Absturz

Wir sind in einem Flugzeug über dem Atlantik, und der Tank hat ein Leck. Notlanden? Oder Augen zu und durch? Vor genau dieser Frage steht die Klimapolitik.
Die Klimakrise ist nicht "grün", sondern "existenziell". Wenn Union und SPD das nicht verstehen, wird ihr Absturz nicht aufzuhalten sein.

Die Klimakrise ist nicht "grün", sondern "existenziell". Wenn Union und SPD das nicht verstehen, wird ihr Absturz nicht aufzuhalten sein.

Foto: Orbon Alija/ Getty Images

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie sitzen in einem Flugzeug, auf halbem Weg über den Atlantik. Plötzlich kündigt eine Flugbegleiterin eine dringende Durchsage der Kapitänin an. Zur Überraschung der Passagiere steht die Pilotin kurz darauf persönlich im Gang. Sie blickt ernst in die Reihen und erklärt, ein Tank des Flugzeugs habe ein Leck, Treibstoff laufe aus. Es sei zwar unter Umständen möglich, mit dem noch verbleibenden Sprit bis nach New York zu kommen, aber das sei nicht sicher. Sie habe deshalb vor, in Grönland um eine Notlandeerlaubnis zu bitten. Der Kopilot sehe das genauso.

Aufgeregtes Gemurmel. Auf einmal steht ein Herr im Anzug aus der ersten Klasse hinter der Pilotin und sagt sehr laut, dass er dringend noch heute Abend in New York sein müsse, es gehe da um einen wichtigen Deal.

Ein zweiter Herr im Anzug gesellt sich dazu und ruft über die Schulter der Pilotin, er sei selbst im Besitz einer Pilotenlizenz, gut, für Kleinflugzeuge, aber die Prinzipien seien ja dieselben. Auf Basis dieser Expertise beurteile er die Analyse der Pilotin als übertrieben. Und man müsse sich mal vor Augen halten, dass so eine Zwischenlandung in Grönland alle Passagiere mehrere Tage kosten werde. Bei seinem Tagessatz entspreche das einer Zahl mit vier bis fünf Nullen.

Jemand fängt an zu schluchzen.

Die Politikerin bekommt ein KitKat

Da steht eine Frau auf und sagt, sie könne hier sicher helfen: Sie sei Berufspolitikerin und deshalb geübt darin, in Konfliktsituationen eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung auszuhandeln. Einige Passagiere lachen bitter, mehrere fangen an, unflätige Beleidigungen zu brüllen. Die meisten starren bedrückt vor sich hin.

Der erste Mann im Anzug ruft in die Kabine, es gehe hier schließlich um Arbeitsplätze! Irgendjemand brüllt, der Pilotin gehe es doch sowieso nur um die Überstunden, vermutlich sei das alles frei erfunden. Jemand aus der Business Class schlägt laut vor, einige Passagiere aus der Economy aussteigen zu lassen, um das Gewicht der Maschine zu reduzieren. Der Mann im Anzug steckt der Politikerin ein KitKat zu und flüstert: "10 Prozent weniger Zucker und Fett!". Sie lächelt.

"Gin To-Nic! Gin To-Nic!"

Die Politikerin sagt, man müsse jetzt in aller Ruhe in einem geordneten Verfahren alle Fakten und Standpunkte einholen und dann zu einer gemeinsamen, für alle tragbaren Entscheidung kommen. Die Menschen im Flugzeug beschäftigten ja ganz unterschiedliche Themen, das müsse man berücksichtigen. "Richtig!", ruft ein Mann, "meine Tochter holt mich in New York am Flughafen ab!".

Die Pilotin gibt zu bedenken, dass das Abdrehen nach Grönland nur noch wenige Minuten lang möglich sei. Danach könne man nur noch darauf hoffen, es gerade so zu schaffen. Das Gepäck werde man aber wohl in jedem Fall abwerfen müssen.

"Und wenn", ruft der zweite Mann im Anzug, "die fischen uns dann schon raus! Wir sind ja nicht irgendwer!" Eine Gruppe von Männern hinten rechts, in T-Shirts mit der Aufschrift: "Bernd lässt noch mal die Sau raus in NY!!!", beginnt "Gin To-Nic! Gin To-Nic!" zu skandieren. Einige andere Passagiere fallen zögernd ein, verstummen aber peinlich berührt, als sie den Blick der Pilotin sehen.

Wer hat sie bis jetzt am ehesten überzeugt?

An wen würden Sie sich halten? An das Pilotenteam, die einzigen Experten an Bord, die eine Katastrophe für möglich, ja wahrscheinlich halten, wenn nicht umgehend gehandelt wird? An den Hobbypiloten, der das alles übertrieben findet? Den Zwischenrufer, der die Pilotin zur Lügnerin erklärt? Wie überzeugend fänden Sie den Standpunkt, dass man jetzt erst einmal ergebnisoffen und in aller Ruhe darüber diskutieren müsse, wie man mit der Situation umgehen soll?

Existenzielle Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine bemerkenswerte Klarheit schaffen. Allerdings nur, wenn man akzeptiert, dass ein katastrophaler Ausgang droht.

Das ist bekanntlich gerade der Fall. "Der Klimawandel ist unser dritter Weltkrieg", schrieb der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz diese Woche im "Guardian" .

Wie eine Krebsdiagnose

Die relevanten politischen Akteure hierzulande wissen das längst, die Wähler sowieso. International gilt, mit wenigen Einschränkungen, das Gleiche. Es gibt überwältigende wissenschaftliche Evidenz. Manche Leute wollen all das nicht glauben, manche wiegeln ab, manche sind der Meinung, dass ihr Reichtum sie schon irgendwie vor den schlimmsten Folgen bewahren wird.

Der Klimawandel ist aber, anders als zum Beispiel Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner es diese Woche wieder behauptet hat , nicht irgendein politisches "Thema", das "gerade en vogue" ist.

Der Klimawandel ist so "en vogue" wie eine Krebsdiagnose. Oder wie ein Auto, in dem bei Tempo 180 plötzlich die Bremse nicht mehr richtig mitspielt: Keiner will ihn, aber wenn man ihn erst mal als Faktum akzeptiert hat, wird alles andere zweitrangig. Und das bleibt dann auch so.

Die Regierungsparteien versuchen, das Loch im Flugzeugtank, von dem sie seit Jahrzehnten wissen, jetzt wie ein "Thema" unter vielen zu behandeln. Julia Klöckner verglich die Klimakrise mit den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen des Jahres 2015. Was eine bittere Ironie birgt, denn gegen die Fluchtbewegungen, die diesem Planeten bevorstehen, wenn wir nicht schleunigst beidrehen, war die sogenannte Flüchtlingswelle von 2015 ein Rinnsal.

In Banda, im indischen Utta Pradesh, stieg die Temperatur diese Woche auf über 48 Grad Celsius , fünf Grad über die normale Temperatur für diese Jahreszeit. Das ist nur ein Vorgeschmack.

Wenn Leute erst einmal begriffen haben, dass eine globale Katastrophe droht, verschieben sich Prioritäten dramatisch  und dauerhaft.

Wenn Union und SPD nicht verstehen, dass die Verhinderung der Klimakatastrophe nicht "grün" ist, sondern existentiell, und kein "Thema" wie Pendlerpauschale oder Baukindergeld, wird ihr Absturz nicht aufzuhalten sein.